Zwischen Überfluss und Überwachung

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Perspektivenwechsel: Was bedeuten die Chancen sowie Herausforderungen der Digitalisierung konkret für unsere Gesellschaft sowie die Arbeitswelt? Der Zukunftsforscher Jakub Samochowiec über mögliche Prognosen und den Umgang mit der Digitalisierung.

Was bedeutet Digitalisierung für Sie als Zukunftsforscher?  

Eine grosse Chance. Maschinen repräsentieren und verstehen unsere Welt zunehmend besser. Erste Computer waren blind und taub, heutige Maschinen erkennen Gesichter, verstehen unsere Sprache, wissen wo sie sind. Damit wird ein digitales Abbild unserer Welt geschaffen. Das kann wiederum Menschen helfen, sich in der Welt zurechtzufinden – ich denke da an Strassenkarten oder Übersetzungstools in Echtzeit. Dank der Vernetzung kann auf dieses digitale Abbild der Welt jederzeit und von überall her zugegriffen werden. Digitalisierung überwindet damit Raum und Zeit. Ökonomisch interessant ist, dass Digitalisierung auch Knappheit überwindet. Alles Digitale lässt sich unendlich oft kopieren – zu Nullkosten. Das ermöglicht in vielerlei Hinsicht eine Welt des Überflusses. 

Inwiefern nützt dieser Überfluss der Gesellschaft?

Ein konkretes Beispiel ist der 3D-Druck: Die Pläne für Prothesen können weltweit geteilt und dadurch relativ kostengünstig vor Ort selbst produziert werden. Durch diesen Überfluss wird auch das Prinzip des Preises überflüssig, denn ein Preis ist nur ein Abbild einer Knappheit. Interessant ist dabei: Es gibt bereits zahlreiche Versuche, wie etwa durch den Einsatz von NFTs, diesen digitalen Überfluss durch künstliche Verknappung zu beschränken.

Wie hat die Digitalisierung Ihre Arbeitswelt bereits verändert?

Die Digitalisierung erlaubt mir das Arbeiten im Homeoffice und damit mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Ich muss nicht mehr frühmorgens aus dem Haus und komme erst zurück, wenn die Kinder schon am Schlafen sind. Schlussendlich war es aber nicht die Digitalisierung, die das Homeoffice flächendeckend ermöglichte, sondern die Pandemie. Die Technologie allein entscheidet noch nicht darüber, wie man sie einsetzt. Das ist ein gesellschaftlicher Prozess.

Wie sieht eine mögliche Prognose aus?

Die Gefahr besteht, dass die Digitalisierung eine Spaltung zwischen privilegierten und weniger privilegierten Arbeitskräften verstärkt. Während die einen von kreativen Tools und der Flexibilität des Homeoffice profitieren, sehen sich andere einer zunehmenden Überwachung und Leistungsdruck ausgesetzt: Lieferpersonen werden anhand der benötigten Lieferzeit bewertet, ohne Rücksicht auf Verluste im Verkehr. Oder Call-Center-Mitarbeitende werden von einer Software beurteilt, welche anhand von Phrasen die Freundlichkeit misst, ohne wirklich auf den Inhalt einzugehen.

«Wenn Maschinen immer mehr Fragen beantworten, wird es zunehmend wichtiger, die richtigen Fragen zu stellen.»

Dr. Jakub Samochowiec, Senior Researcher und Speaker am Gottlieb Duttweiler Institut.

Welche Fähigkeiten werden aufgrund der Digitalisierung künftig besonders wichtig?

Wenn Maschinen immer mehr Fragen beantworten, wird es zunehmend wichtiger, die richtigen Fragen zu stellen. Das braucht einen Eigenantrieb, Kreativität und die Fähigkeit, Fragen richtig zu formulieren. In einem Umfeld, in dem Menschen durch Maschinen überwacht und «mikromanaged» werden, besteht die Gefahr, dass genau diese Fähigkeiten verloren gehen und man nur Ausführende von maschinellen Vorgaben wird.

Ist Digitalisierung eine kollektive Überforderung oder eine Chance für Alle(s)?

Entscheidend für diese Frage ist das dahinterliegende Menschenbild: Glauben wir, dass Menschen mit Überfluss und Freiheit umgehen können? Oder gehen wir davon aus, dass Kontrolle und Überwachung notwendig sind, weil Menschen lediglich durch Regeln und finanzielle Anreize motiviert werden können?

Über Jakub Samochowiec  

Dr. Jakub Samochowiec ist Senior Researcher und Speaker am Gottlieb Duttweiler Institut. Der promovierte Sozialpsychologe analysiert gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Veränderungen mit den Schwerpunkten Entscheidung, Alter, Medien und Konsum. Aufgrund seiner reichhaltigen Erfahrung im empirischen Vorgehen ist er ebenfalls Experte in quantitativen Forschungsmethoden und deren Auswertung. Neben seiner Forschungstätigkeit hat er Erfahrungen in der Video-Produktion, wie auch als DJ und Musiker.