Wer sich nicht erneuert, ist bald weg vom Fenster

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Die digitale Transformation ist für KMU ein Muss. Viele Unternehmensverantwortliche wissen zwar, dass sie ihre Betriebe modernisieren, digitalisieren und automatisieren müssen, doch es schrecken nach wie vor noch immer die meisten davon zurück, ihre bisherigen Geschäftsmodelle zu überdenken oder sogar zu verändern. Pages hat sich mit Marc K. Peter, Leiter des Kompetenzzentrums für Digitale Transformation und Dozent an der FHNW Hochschule für Wirtschaft in Olten sowie ausgewiesener Experte in Sachen Digitale Transformation, zum Gespräch über Handlungsfelder, Strategien, Herausforderungen, Generationsthemen und Zeitenwende getroffen.

Das Resultat Ihrer ersten Studie «KMU-Transformation» aus dem Jahr 2017 bringt die Aussage des früheren Staatssekretärs für Wirtschaft auf den Punkt: «Schweizer Unternehmen hinken bei der Digitalisierung hinterher.» Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Sie behaupten sogar, dass wir in der Schweiz noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen seien, weshalb?

Marc K. Peter: Wir setzen zwar digitale Technologien ein. Wir akzeptieren sie und nutzen sie. Aber wir versuchen nicht, sie bewusst zu verstehen und proaktiv einen Plan zu erarbeiten, wie wir sie optimal nutzen könnten. Nehmen wir zum Beispiel das Homeoffice und Covid. Homeoffice wurde erst durch die Pandemie populär. Bei den meisten ist das sozusagen «einfach passiert»: Die wenigsten Unternehmen haben zuerst ihre Mitarbeitenden gezielt befragt, um herauszufinden, welche Werkzeuge, welche Unterstützung oder welche Art von Führung sie bräuchten, um in ihrem Team und im digitalen Zeitalter gut zu funktionieren. Die meisten sind sozusagen in die Situation reingerutscht und haben unbewusst über «Learning by Doing» nachträglich gewisse Verhaltensregeln aufgestellt. Bewusstes Handeln sieht anders aus. Kaum eine Managerin oder ein Manager hat diesbezüglich ihren oder seinen Job richtig gemacht und das Thema von Grund auf zu verstehen versucht, um einen adäquaten Plan zu entwickeln.

Erfolgte das meiste konzept- und kopflos?

Das sind gute Wörter, um diese Situation zu beschreiben. Denn die digitale Transformation ist zunächst ein Innehalten. Sie fängt mit einem Stopp an. Es geht schliesslich um die Entwicklung einer Strategie, die in der Regel viel Zeit braucht. Das bedeutet ein «Reset», ein Hinterfragen bisheriger Wege, ein Überdenken der Situation und die Festlegung neuer Marschrichtungen. Dann müssen geeignete Projekte definiert und entsprechend neue Technologien untersucht werden, bis eine vernünftige Entscheidung gefällt werden kann. Die digitale Transformation ist ein ganzheitlicher Erneuerungsprozess, um gemeinsam mit den Mitarbeitenden zu überlegen, wohin die Reise gehen soll.

Ist Digitalisierung schon digitale Transformation?

Es ist immer einfach, rückwirkend Begriffe zu erklären. Nehmen wir die vier industriellen Revolutionen. Bei der dritten, in den 70er, den 80er Jahren, hat die EDV Einzug in unsere Welt gehalten, sie hat vieles digitalisiert. Abacus ist ursprünglich eine Digitalisiererin. Abacus hat, wie viele andere Softwareunternehmen auch, analoge Arbeiten digitalisiert. Sie hat Software entwickelt, um solche Probleme zu lösen. Die Digitalisierung hat ihren Fokus auf die Daten und Prozessautomatisierung. Viele Firmen in der Schweiz sind übrigens auch 40 Jahre später noch nicht durchgängig digitalisiert. Mit der Digitalisierung sind auch erste Webseiten, der E-Mail-Verkehr, dann auch der E-Commerce aufgekommen. E-Commerce ist ein typisches Geschäftsmodell, das dank der Digitalisierung entstanden ist. Die digitale Transformation hingegen ist ganzheitlicher und strategischer als die Digitalisierung.

Die digitale Transformation ist ein ganzheitlicher Erneuerungsprozess, um gemeinsam mit den Mitarbeitenden zu überlegen, wohin die Reise gehen soll.

Marc K. Peter, Professor für Digital Business und Leiter Kompetenzzentrum Digitale Transformation an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz

Was ist dann passiert?

2005 ist die Abhängigkeit von der zehn Jahre zuvor aufgetauchten Internet-Technologie plötzlich exponentiell gestiegen. Dies nicht nur, weil Firmen neue Software brauchten, um die Prozesse zu vereinfachen, sondern weil plötzlich ganze Lebensbereiche ins Internet mit Finanztransaktionen, Ticketverkaufsstellen, Hotelbuchungssystemen oder Taxi- und Pizzadiensten verlagert wurden. Noch nie in der Geschichte der Menschheit haben wir uns von einer Technologie in einem ähnlichen Umfang abhängig gemacht.

Hat uns die Digitalisierung also zu etwas befähigt, was es vorher nicht gab?

Ja, das hat sie, denn jetzt ist sie Teil von uns. Damit sind Firmen in den Vordergrund getreten, die ganze Industrien zerstört oder rekonfiguriert haben. Organisationen mussten nicht mehr einfach optimiert und angepasst, sondern transformiert werden, damit sie überhaupt noch eine Chance hatten, im neuen Kontext des Internets zu überleben. Digitale Transformation ist das Schlagwort der vierten industriellen Revolution, die zwischen 2005 und 2010 anfing. Der Begriff selbst ist ab 2015 aufgekommen.

Was bedeutet er?

Die digitale Transformation ist eine ganzheitliche Strategie, um kundenorientierte, neue Technologien und Daten zu nutzen, um mit optimierten Prozessen eine Organisation zu erneuern und wettbewerbsfähiger zu gestalten. Sie betrifft sowohl die Wirtschaft, die verschiedenen Funktionen innerhalb von Unternehmen, deren Geschäftsmodelle, ja sogar die ganze Gesellschaft. Firmenverantwortliche sollten sich nicht fragen, ob sie bestehende Prozesse digitalisieren sollten, sondern eher, ob ihre Prozesse in der aktuellen Form überhaupt noch sinnvoll sind.

Und was gehört zur digitalen Transformation?

Unser Kompetenzzentrum für Digitale Transformation an der FHNW Hochschule für Wirtschaft hat in seiner 2017 durchgeführten erstmaligen Befragung und einer 2021 nachfolgenden Validierungsstudie mit gesamthaft 4000 Teilnehmenden von KMU bis Grossunternehmen 4200 Projekte untersucht und hat sieben Handlungsfelder der Transformation identifiziert. Ein Handlungsfeld ist ein Begriff aus der Pädagogik und bezeichnet Bereiche, in denen ein Unternehmen, eine Organisation oder ein Einzelner bestimmte Aktivitäten und Massnahmen ergreifen muss, um gewisse Ziele zu erreichen.

Könnten Sie diese näher erläutern?

Das erste Handlungsfeld betrifft die ständige Kundenorientierung mit personalisierten Angeboten sowie digitalen Kommunikations- und Absatzkanälen. Um überhaupt neue Produkte zu verkaufen, gilt es, die Gewohnheiten seiner neuen Kunden zu kennen. Beim zweiten geht es um neue Technologien. Vielen KMU fehlt das dazu nötige Wissen. Der Weg dazu führt über externe Beraterinnen und Berater, IT-Dienstleister oder über Seminare von Herstellern wie Abacus, an denen die jüngsten technischen Errungenschaften demonstriert werden. Das dritte betrifft die Daten und die Cloud. Demnach sollen solche Daten gesammelt werden, mit denen sich neue Ökosysteme aufbauen lassen. So wird etwa der Kaminfeger, der im Haus eines Kunden die schlechte Qualität der vorhandenen Fenster bemerkt, in die Lage versetzt wird, unverzüglich ein Angebot durch eine adäquate Fachperson zu arrangieren, da er mit ihr vernetzt ist. Beim vierten Handlungsfeld geht es um digitale Strategien und Geschäftsmodelle, bei denen bestehende Angebote hinterfragt werden, um neue oder erweiterte Leistungen mit Hilfe von Innovationen, Plattformen und Kooperationen zu entwickeln. Ein klassisches Beispiel dafür sind die Hersteller von Druckern, die sie heute billiger anbieten als ihre Patronen. Dann als fünftes geht es um das Thema, wie eine Firma intern aufgebaut ist. Es gilt, die Prozesse zu untersuchen, ob sie sich standardisierter, schneller und effizienter gestalten lassen als bisher, und, wo möglich, sich so digitalisieren und automatisieren. Neue Digitalisierungen treiben Veränderungsprozesse an, die zu einer Anpassung der Führungsgrundsätze und neuen Organisation führt. Das Handlungsfeld Digitale Führung und Kultur löst Fragen neu, wie beispielsweise Home Office oder virtuelle Teams im Unternehmen verfügbar sind. Um es vorwegzunehmen, ein grosses Problem bei diesem Handlungsfeld ist das Arbeitsgesetz. Es verbietet fast alles, was heute laut unserer Umfrage sich Arbeitnehmende wünschen, wie etwa flexible Arbeits- und Überzeiten oder Wochenendarbeit. Das Handlungsfeld Nummer 7 betrifft das digitale Marketing, wozu auch der Vertrieb gehört. Ziel hier ist die Nutzung von digitalen Plattformen und Kanälen, um die neuen Strategien, Produkte und Dienstleistungen im Markt erfolgreich anzubieten.

Noch nie in der Geschichte der Menschheit haben wir uns von einer Technologie in einem ähnlichen Umfang abhängig gemacht.

Marc K. Peter, Professor für Digital Business und Leiter Kompetenzzentrum Digitale Transformation an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz

Was bedeutet in diesem Zusammenhang die grösste Herausforderung für die digitale Transformation?

Bei den KMU ist die Antwort klar: der Zeitmangel. Steckt eine Führungskraft mitten im Tagesgeschäft, hat diese eher Offerten zu schreiben sowie dieses und jenes zu erledigen, als Strategien zu entwerfen, geschweige denn sie umzusetzen.

Ist dies das Kernproblem der Strategieentwicklung?

Dazu zählt auch fehlendes Wissen, wie etwas realisiert werden soll. Dazu müsste das Management auch die richtigen Tools kennen. Als drittes Grundübel gilt die fehlende Veränderungsbereitschaft, ob sich das Unternehmen überhaupt an die neuen Realitäten anpassen will. Kein eigentlicher Hinderungsgrund, so das Resultat unserer Studien, ist interessanterweise das Geld. So bleiben als Schranken die Zeit, das Wissen und das Wollen.

Heisst das, dass der Malermeister Müller jetzt einen akademisch ausgebildeten Assistenten braucht, um seine digitale Transformation zu realisieren?

Natürlich nicht. Aber es braucht zusätzliche Expertise für die Umsetzung. Die kann von einer Hochschule aber auch von einem Softwarepartner stammen.

Das bleibt für ein durchschnittliches KMU eine sehr spezielle Aufgabe.

Den KMU muss wirklich geholfen werden. Und ich verstehe nicht, warum in der Schweiz nicht mehr für sie gemacht wird. Es ist schon eigenartig, dass wir nicht eine stärkere nationale Bildungsoffensive haben. Viele versuchen es zwar. So hat beispielsweise das Staatssekretariat SECO seinen KMU-Newsletter und die Handelsverbände tun das Ihrige, aber hier könnte wesentlich mehr gemacht werden.

Braucht es eher eine Bildungsoffensive oder vermehrt direkte Unterstützung?

Für ein neues Bewusstsein braucht es einen «mentalen Klick». Ich und meine Kollegen und Kolleginnen von den Fachhochschulen wären gerne bereit, in den nächsten zwei Jahren direkt bei einigen der 600ʼ000 KMU, die wir in der Schweiz haben, vorzusprechen; es geht schliesslich um eine Erneuerung unserer Wirtschaft, um fürs digitale Zeitalter fit zu sein.

In seinem Buch «Digitaler Masterplan für KMU» gibt Marc K. Peter wertvolle Praxistipps, damit die digitale Transformation in Unternehmen gelingt. 1. Auflage 2023, 232 Seiten, Verlag Beobachter Edition & Handelszeitung www.digitaler-masterplan.ch

Das SwissICT-Magazin berichtete kürzlich, dass Sie mit einem Team erneut daran ist, den Stand der digitalen Transformation in der Schweizer Wirtschaft zu erheben. Bekannt wurde bereits, dass die Strategie und das Transformationsmanagement in den Unternehmen noch schwach ausgeprägt ist. Es fehlen definierte Ziele und eine kontinuierliche Produktüberprüfung.

Das bringt mich zum Punkt, wie ein Unternehmen überhaupt die Transformation hinbekommt. Dazu braucht es folgende drei Erfolgsfaktoren:

Der erste ist traditionelles «Old School»-Projektmanagement wie in den 80er Jahren. An den Hochschulen wurde Wirtschaftsinformatik gelehrt, die in den vergangenen zehn Jahren wie vom Erdboden verschwunden ist. Nun ist sie plötzlich wieder gefragt – auch in KMUs. Eine Firma lässt sich schliesslich nur erneuern und digitale Technologien lassen sich nur einführen, wenn es auch Leute hat, die fähig sind, entsprechende Projekte zu managen. Das ist die Nummer 1. Und Projektleitende fehlen derzeit an allen Orten.

Nummer 2: Change Management ist auch eine altes und bekanntes Managementkonzept. Es gilt also, die Mitarbeitenden ebenso auf den Weg des Veränderungsprozesses mitzunehmen wie die Kunden. Letztere sind es, welche die neuen digitale Tools nutzen dürfen oder müssen. Aber es braucht auch eine bewusste Auseinandersetzung mit der Kultur einer Firma, die transformiert werden soll. Hier kann die Methode des US-Psychologen Kurt Lewin aus den 40er Jahren in den drei Schritten «Unfreezing», «Changing» bzw. «Transforming» sowie «Refreezing» angewendet werden. Unternehmen sollen sich für den Wandel öffnen bzw. «aufzutauen», dann die Transformation diskutieren und durchführen und schliesslich die erzielte «Agilität» konservieren, so dass das Change Management nachhaltig bleibt.

Der dritte Erfolgsfaktor ist der schwierigste Teil eines Transformationsprozesses. Es geht um digitales Leadership. Unternehmen sind auf Führungskräfte angewiesen, die auf eine zwei bis fünf Jahre dauernden «Reise» mitkommen und selbst dann an Bord bleiben, wenn sie ein besseres Jobangebot erhalten sollten. Sie müssen sich bewusst sein, auf Widerstände zu treffen, und wissen, dass es mit Technologien schief gehen kann und mitunter Prozesse neu angepasst werden müssen. Es ist wie bei einem grossen Abacus Projekt: Alle Führungskräfte einer Firma müssen es von A bis Z unterstützen, sonst klappt es nicht.

Lassen sich erfolgreiche Transformationen messen?

Ja klar, es betrifft die Menschen in den Firmen, Menschen im Markt und das eigene Bankkonto: Wenn Kundinnen und Kunden glücklicher sind als vorher, wurde für die betroffene Firma etwas geschaffen, auf das der Markt positiv reagiert. Wenn die Mitarbeitenden glücklicher sind als vorher, haben die Firmenverantwortlichen sie so angeführt und motiviert, wie es das digitale Zeitalter verlangt. Und wenn mehr Geld reinkommt als vor der Transformation, dann hat das Unternehmen das Meiste richtig gemacht.

Veränderung ist ja etwas, mit dem sich ein Mensch nicht so gerne beschäftigt. Laut einer Studie in Zusammenhang mit der digitalen Transformation glauben 40 Prozent der Verantwortlichen von KMU, dass sie in zehn Jahren gar nicht mehr überlebensfähig seien. Was bedeutet das für die Transformation?

Es hängt davon ab, was ein Unternehmen mit der eigenen Firma vorhat. Soll sie verkauft werden, braucht es Daten von hoher Qualität. Soll sie geschlossen werden, kann man die Aktivitäten einfach auslaufen lassen. Soll dieses jedoch erfolgreich weitergeführt werden, gibt es keinen anderen Ausweg als die digitale Transformation.

Ist das auch eine Generationenfrage?

Bei jeder neuen Technologie verhält es sich in etwa gleich: Vieles, was früher auf eine bestimmte Weise gemacht wurde, wird nun plötzlich anders gemacht. Sich darauf einzulassen, hat auch mit dem Appetit nach Risiko zu tun und auch damit, weil heutzutage ja mehr in Projekten gearbeitet wird. Nicht mehr die Position oder Rolle im Unternehmen steht im Vordergrund, sondern das Projekt, was ein anderes Verständnis von Arbeit mit sich bringt.

Gibt es unterschiedliche «Reifestufen» bezüglich der digitalen Transformation?

Es gibt die drei Phasen: die Befähigung zur Digitalisierung, dann die Optimierung mit der Automatisierung von Prozessen und schliesslich die eigentliche digitale Transformation.

Könnte das auch ein gangbarer Weg sein für die Transformation, nur Stufe um Stufe zu nehmen?

Ja, durchaus. Das eignet sich besonders für jemanden, der Angst vor der Zukunft hat oder dessen Risikoappetit nicht sehr gross ist. Aber ich empfehle stets, sich trotzdem Gedanken zum «bigger picture» der eigenen Unternehmung zu machen. Ein Unternehmen verbaut sich damit nichts, im Gegenteil.

Nicht, dass es so herauskommt, wie Thorsten Dirks, der frühere CEO der Telefonica Deutschland, einmal befürchtet haben soll: «Wenn Sie einen Scheiss-Prozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiss digitalen Prozess.»

Ja, genau. Vor 20 Jahren war es für KMU ein «Muss», sich mit einem Web-Shop oder einer Webseite im Internet zu präsentieren. Heute dürfte die digitale Transformation zum «Muss» wie damals werden, so dass sie für Geschäftsleitungen keine reine Investition in einen «Business Case» mehr darstellt, sondern auch zur ideologischen Sache wird.

Firmenverantwortliche sollten sich nicht fragen, ob sie bestehende Prozesse digitalisieren sollten, sondern eher, ob ihre Prozesse in der aktuellen Form überhaupt noch sinnvoll sind.

Marc K. Peter, Professor für Digital Business und Leiter Kompetenzzentrum Digitale Transformation an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz

Wenn wir der Vollständigkeit halber noch einen internationalen Vergleich ziehen, wo stehen die Schweizer Unternehmen punkto Digitalisierung?

Es gibt fast keine vernünftigen Studien mit internationalen Vergleichen. Eine, die ich viel zitiert habe, stammt von Dell aus dem Jahr 2018. Da wurde die Schweiz im Mittelfeld angesiedelt.

Sie haben bereits die Bildungsoffensive erwähnt, die die Schweiz machen müsste, um das Bewusstsein der KMU respektive der Führungskräfte bezüglich der digitalen Transformation zu wecken. Gibt es noch andere Massnahmen, die die Schweiz als Staat durchführen müsste, um den Boden für die digitale Transformation besser vorzubereiten?

Überraschenderweise hat die Schweiz in der Gesetzgebung einiges erreicht. Ein typisches Beispiel dafür sind das DLT-Gesetz (Distributed Ledger Technology) oder das kürzlich revidierte Datenschutzgesetz, auch wenn es typischerweise zu wenig weit geht. Wir hätten damit eine unglaubliche Chance gehabt, dass die Firmen mit den Daten anders umgehen müssten. Die wichtigste Anforderung, dass ein Unternehmen gesetzlich eine Übersicht über die Daten haben muss, müssen nun nur Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden erfüllen. Damit hat die Wirtschaft den bestmöglichen strategischen Hebel aus der Gesetzgebung herausgenommen, Mittelfeld halt ... Das Internet birgt grosse Gefahren, die weitgehend noch nicht von den Gesetzen abgedeckt sind. Denken Sie nur an die Spitäler, die seit den 80er-Jahren digital gewaltig aufrüsten. Da geschieht nichts. Das Gefahrenbewusstsein der Leute ist weiterhin erschreckend tief.

Wo sehen Sie weitere Probleme?

Es fängt schon bei der Volksschule an. Unsere Lehrkräfte sind überhaupt nicht befähigt, digitale Technologien zu unterrichten. Auch in den Berufslehren sehen wir eine Polarisierung: Es gibt nun IT-Berufslehren zu Multimedia, Technik und IT-Sicherheit. In den übrigen Lehren beispielsweise zum Coiffeur und zur Coiffeuse oder zum Maler und Malerin fehlen IT- und IT-Sicherheitsmodule vollständig.

Was tun?

Es ist wichtig, eine Diskussion über die digitale Transformation in Gang zu bringen und ein entsprechendes Bewusstsein aufzubauen. Das ist wichtiger als fertige Strategien und Produkte zu entwickeln.

Aber hat nicht die Corona-Krise einiges bewirkt?

Covid hat, wenn überhaupt, die Digitalisierung gepusht wie zum Beispiel Online-Meetings oder das Homeoffice. Die eigentlichen Chancen, die wir als Wirtschaftsraum und Gesellschaft gehabt hätten, um uns und die Arbeitswelt vollständig zu erneuern, sind ohne Wirkung verpufft. Es arbeiten heute wieder fast gleich viele Leute primär im Büro wie vor der Pandemie.

Trotzdem muss ich Ihnen dies als letzte Frage stellen: Stehen wir am Anfang einer Zeitenwende?

Wir stecken mittendrin. Aber wir haben es intellektuell noch nicht wirklich erfasst. Dafür braucht es Zeit. Die Arbeitsweisen werden sich mit Bestimmtheit dramatisch verändern. Es braucht viel mehr Wissen, auch IT-Wissen, aber auch anderes Prozesswissen, um bessere Projekte realisieren zu können. Auch braucht es andere Unternehmenskulturen. Der Wandel kommt erst. Eines weiss ich schon jetzt, bis dahin wird noch viel passieren

Marc K. Peter

Nach einer kaufmännischen Lehre hat sich der gebürtige Stadtberner der Welt der Betriebswirtschaft und des High-Tech verschrieben. Zunächst studierte er E-Business Engineering an der Berner Fachhochschule, dann Finanzwissenschaften an der UC Berkeley und schliesslich Marketing an der Uni Basel. Seine MBA machte er an der Berner Fachhochschule und am Babson College, eine auf Entrepreneurship fokussierte Wirtschaftshochschule im US-amerikanischen Massachusetts. Seine Dissertation reichte er an der Charles Sturt University im australischen Sydney ein. Dazwischen war Peter immer wieder im In- und Ausland in verschiedenen Führungsfunktionen in kleinen und grossen Unternehmen vor allem in der Medienbranche tätig, wobei er mehrere Transformationsprojekte realisieren durfte. Heute leitet er das Kompetenzzentrum für Digitale Transformation an der Hochschule für Wirtschaft FHNW in Olten, wo er als Dozent und Studiengangleiter tätig ist. Daneben unterrichtet er regelmässig bei Rochester-Bern Executive Programs und an der Universität Basel sowie an der Charles Sturt University in Australien, wo er auch mit einem kleinen Forschungsteam zusammenarbeitet.