Predigten mit Chat-GPT? So (er)lebt eine Pfarrerin die Digitalisierung
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Was bedeutet Digitalisierung für Sie als Pfarrerin?
Digitalisierung ist für mich die virtuelle Vernetzung der Welt, die mich gleichzeitig fasziniert und beängstigt. Fasziniert bin ich ab den neuen Möglichkeiten – ich kann beispielsweise problemlos an theologischen Diskussionen meiner Kolleginnen und Kollegen aus anderen Kantonen teilhaben. Früher wäre das nicht so einfach möglich gewesen. Verängstigt bin ich wegen der schier unendlichen Masse an gespeicherten Daten. Für mich bedeutet dies ein Stück weit auch das Entgleiten des Überblicks.
Wie hat die Digitalisierung Ihre Arbeitswelt bereits verändert?
Kürzlich wagte ich ein Experiment, bei dem ich meine Predigten von Chat-GPT schreiben liess. Anfänglich stellte sich ein echter Wow-Effekt ein. In kürzester Zeit hatte ich eine Predigt vor mir liegen, die gar nicht mal so schlecht war und auch sehr nach Predigt getönt hat. Aber: Ich möchte ja eigentlich genau nicht so predigen, dass man in dieses moralische Leiern verfällt. Ich habe deshalb versucht, Chat-GPT meinen eigenen Predigt-Stil zu lehren.
Haben Sie dies erreicht?
Ich wollte schon fast aufgeben. Schliesslich begann ich, einige meiner Predigten als Vorlagen einzuspeisen. Offenbar hat der KI das sehr gefallen: Chat-GPT hat mir Komplimente für meine Predigten gemacht. Ich war verblüfft, die Kritik war sehr fundiert. Und es fühlte sich so an, als ob ich mit einem Gegenüber kommunizieren würde. Obwohl ich ja wusste, dass es eine Maschine war, hat es mir fortan fast leidgetan, dass ich mit dem Resultat von Chat-GPT nie zufrieden war und immer weiter nachbohrte.
«Offenbar hat der KI das sehr gefallen: ChatGPT hat mir Komplimente für meine Predigten gemacht.»
Kathrin Bolt, reformierte Pfarrerin in der Stadtkirche St. Laurenzen St. Gallen.
Ist es beim Experiment geblieben oder werden Sie weiterhin KI einsetzen?
Für Predigten wohl eher weniger. Ich habe gemerkt, dass sich eine Predigt erst entwickeln muss, ich komme oft auf Ideen und Gedanken erst während dem Schreibprozess. Und das kann mir Chat-GPT nicht abnehmen. Aber um Ideen einzuholen – warum nicht?
Wo gibt es weitere Berührungspunkte mit der Digitalisierung?
Seit Corona übertragen wir jeden Gottesdienst via Livestream. Wir waren eine der ersten Kirchgemeinden, die das damals eingesetzt hat und haben in eine richtig gute Anlage investiert. Mittlerweile ist die Übertragung so sehr etabliert, dass wir auch trotz Pandemie-Ende den Livestream beibehalten. Allerdings: gerade kürzlich leitete ich einen Gottesdienst, an dem etwa 300 Personen teilnahmen, inklusive grossem Gospelchor. Wenn man da dabei ist, spürt man eine enorme Kraft. Die empfinde ich nicht, wenn ich alles im Streaming verfolge. Zudem habe ich Podcasts für mich entdeckt. Mit dem Podcast «Sternenglanz» erreiche ich ein viel breiteres Publikum als in einem Gottesdienst.
Welche Fähigkeiten werden aufgrund der Digitalisierung künftig besonders wichtig?
Man muss die Fähigkeit haben, persönliche Begegnungen wieder erlebbar werden zu lassen. Das wird aus meiner Sicht immer mehr zum Bedürfnis. Genauso wie die Selbsterkenntnis, dass Digital Detox wichtig ist. Als Kirche können wir im Umgang mit Stille und Einkehr sicher etwas dazu beitragen.
Ist Digitalisierung eine kollektive Überforderung oder eine Chance für Alle(s)?
Für mich ist es eine kollektive Überforderung – die zum Glück aber auch Chancen mit sich bringt. Ich versuche die Chancen zu sehen, mit allem zu arbeiten und nicht die Augen vor der Realität zu verschliessen. Und trotzdem macht mir die rasante Entwicklung etwas Sorgen. Wir sind zwar lernfähige Wesen aber bräuchten doch etwas Zeit, um Sachen zu lernen.
Über Kathrin Bolt
Kathrin Bolt, 43, ist reformierte Pfarrerin in der Stadtkirche St. Laurenzen St. Gallen. Sie engagiert sich für Care- und Genderthemen, spielt gerne Theater und scheut sich nicht, neue Kommunikationswege für die Kirche auszuprobieren.
Seit Anfang 2023 ist sie Mitherausgeberin des Podcasts «Sternenglanz».