«Emotionale Intelligenz wird immer wichtiger»

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Perspektivenwechsel: In welchem Zusammenhang stehen die Digitalisierung und Glück? Wir haben mit dem Glücksforscher Sigmar Willi über diese Frage gesprochen. 

Was bedeutet Digitalisierung für Sie als Glücksforscher, Berater und Coach? 

Obwohl ich mich selbst als analog-geprägter und wenig digitalaffiner Mensch beschreibe, sehe ich viele Vorteile für mich persönlich – ich kann Online-Coachings durchführen, neue Akquisitions-Plattformen nutzen oder mich digital zu Fachthemen austauschen. Trotzdem bin ich froh, dass nicht ganz alles digital ist und beispielsweise auch noch dieses Magazin als Print-Produkt erscheint.  

Sie sind froh darum?  

Genau. Mit der Digitalisierung geht die haptische Wahrnehmung immer mehr verloren. Ein Mensch muss aber seine fünf Sinne einsetzen können. Je mehr Sinne wir nutzen können, desto mehr haben wir das Gefühl, dass etwas sinnvoll ist. Und wenn wir etwas als sinnvoll erachten, sorgt das für eine Genugtuung, welche wiederum zu Wohlbefinden führt und glücklich macht.

«Je mehr Sinne wir nutzen können, desto mehr haben wir das Gefühl, dass etwas sinnvoll ist.»

Prof. Sigmar Willi, Dozent für Persönlichkeitsbildung an der OST Ostschweizer Fachhochschule

Welche Fähigkeiten werden aufgrund der Digitalisierung künftig besonders wichtig? 

Künstliche Intelligenz wird unseren menschlichen IQ bald übertreffen. Deshalb wird in Zukunft die emotionale Intelligenz eines Menschen immer wichtiger.  

Wie erreicht man dies? 

Man braucht die Kompetenz und die Fähigkeit, nachzudenken. Wir müssen uns Fragen stellen wie: Wie verhalte ich mich? Wie reagiert mein Gegenüber? Welche Emotionen sind vorhanden? Diese (Selbst-)Reflexion ist die Voraussetzung emotionaler Intelligenz. Wer sich in diesem Bereich weiterentwickelt, wird in Zukunft gefragt sein und verfügt über ein Alleinstellungsmerkmal.

Wie wird sich das Zusammenspiel zwischen digitalen Lösungen und menschlicher Interaktion entwickeln? 

Die Beschleunigung nimmt weiter zu, alles wird einfacher und schneller. Programme nehmen einem die Arbeit ab, Reisen werden mit einem Klick gebucht, Bestellvorgänge schnell abgeschlossen. Gleichzeitig hat aber diese Entwicklung, wie alles im Leben, auch ein Preisschild: Man gibt Daten preis, vergisst Zugangscodes, fühlt sich möglicherweise überflüssig. Eine optimistische Grundeinstellung ist deshalb wichtig – nicht nur im Zusammenhang mit Digitalisierung.  

Ist Digitalisierung eine kollektive Überforderung oder eine Chance für Alle(s)? 

Ich sehe mehr Chancen: Der vereinfachte Austausch, das Wissen, welches öfter und schneller geteilt wird, die Routinearbeit, die einem abgenommen wird. Damit es aber nicht zur kollektiven Überforderung kommt, müssen wir uns Abstandszeiten einräumen. Früher kam die Entschleunigung von allein, die Digitalisierung hat uns dies ein Stück weit weggenommen. Wollen wir unser Glück und unsere Kreativität bewahren, müssen wir uns dessen bewusst sein und genügend Off-Zeiten in unseren Alltag integrieren.

Über Sigmar Willi

Prof. Sigmar Willi ist Dozent für Persönlichkeitsbildung an der OST Ostschweizer Fachhochschule. Er ist Inhaber eines Beratungsunternehmens, das sich auf die Entwicklung menschlicher Potentiale spezialisiert hat. Als Experte zum Thema Glücksforschung hat er zudem diverse Fachartikel veröffentlicht.