«Warum kann der Computer nicht mit mir sprechen?»
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von Claudio Hintermann
Erinnern Sie sich an Stanley Kubricks «2001: A Space Odyssey»? An den haarsträubenden Dialog zwischen dem Astronauten Bowman und dem Superbordcomputer HAL, in dem die Maschine dem Astronauten klar machte, dass sie ihn nicht mehr zurück ins Raumschiff lassen würde? Der Film wurde 1968 gedreht, die zugrunde liegende Kurzgeschichte von Arthur C. Clarke stammt aus dem Jahr 1948. Schon damals war klar: Irgendeinmal werden Computer mit Menschen sprechen können.
Neulich sass ich mit meiner Mutter vor dem Fernseher und führte eine Diskussion über die soziokulturellen Unterschiede zwischen Italien und Frankreich. Als Beispiel für meine Argumentation wollte ich die Zahl der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte pro Kopf in Italien verglichen zu Frankreich anführen. Google gab mir viele Links, aus denen ich dann allenfalls mühselig Antworten auf meine Frage hätte destillieren können. Anders die KI-Suchmaschine Perplexity. Ihr konnte ich die Frage nach der Anzahl Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte pro Kopf in Italien im Vergleich zu Frankreich stellen und bekam eine klare Antwort. Die Diskussion ging auf Fakten gestützt weiter.
Computer sollten in menschlicher Sprache kommunizieren und Antworten auf Fragen geben können. Business Software, auch Abacus, kann das noch nicht. Aber die Erwartungshaltung ist da. Es wird normal sein, dass Systeme in natürlicher Sprache – so wie wir Menschen – kommunizieren. Und wir Informationen nicht mehr aus Tabellen herausklauben müssen, sondern von unseren Systemen Antworten auf Fragen erhalten.
Eine Branche wird durchgeschüttelt – schon wieder
Anbieter, deren Lösungen dies nicht bieten, werden verschwinden oder zumindest irrelevant werden. Nicht heute und auch nicht morgen – aber auch nicht erst in 10 Jahren.
Es ist nicht das erste Mal, dass neue Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine die Branche umwälzen und die etablierten Player unter Druck setzen. Neue Technologien bieten immer auch Chancen für Newcomer, die schneller als die Platzhirsche zeitgemässe Lösungen anbieten können. Diese haben zwar einen geringeren Funktionsumfang und vielleicht gewisse Kinderkrankheiten, entsprechen aber den Erwartungen.
Schon damals war klar: Irgendeinmal werden Computer mit Menschen sprechen können.
Claudio Hintermann, Co-CEO Abacus Research AG
Gerade wir von Abacus haben nicht nur angenehme Erfahrungen mit solchen Umwälzungen gemacht. Als Microsoft 1992 die erste in der Praxis nutzbare Version von Windows lancierte, sah Abacus mit der DOS-Oberfläche rasch alt aus. Die Innerschweizer Firma Softinc lancierte «Sesam», eine Business-Lösung für KMU mit Windows-Oberfläche und heimste überall Lob ein. Das grafische Interface machte Furore. Dass die Software noch einige Kinderkrankheiten hatte, störte selbst die sonst so genauen Treuhänderinnen und Treuhänder nicht. Wir mussten lernen, dass die Tatsache, dass es nun eine Oberfläche gab, die die Userinnen und User intuitiver verstehen konnten, die Regeln neu geschrieben hatte. Wir mussten kämpfen, gingen mehrmals – Familie hin, Familie her – nach Miami. Denn wir wussten, dass wir den Sprung zu Windows einfach schaffen mussten.
Als die ersten Web-Interfaces und nochmals ein paar Jahre später unsere Kundinnen und Kunden mit mobilen Geräten mit Abacus interagieren wollten, wurden die Karten nochmals neu gemischt. Wieder tauchten neue, junge Player auf, die uns das Leben schwer machten. Doch in diesen Fällen waren wir besser vorbereitet.
Und nun kommt die nächste Welle. Natürlich werden bestehende Lösungen nicht sofort verschwinden, aber Kundinnen und Kunden werden bald fragen, warum sie mit dem Computer nicht einfach sprechen können. Warum sie immer noch Listen statt Antworten bekommen. Mit der Lancierung von ChatGPT Ende November 2022 hat sich die Welt verändert. Es wird nicht lange dauern, bis Business Software auftauchen wird, mit der man reden kann, deren Userinterfaces auf «Conversational AI» aufbauen. Abacus wird mithalten wollen und müssen.
Mehr Schriftsteller, weniger Übersetzer
Software-Hersteller müssen sich immer wieder neu erfinden, wenn sie mit sich verändernden Kundenbedürfnissen fertig werden wollen. Es geht nicht nur um Firmen, auch an die Menschen in der Softwarebranche werden neue Anforderungen gestellt.
Softwareentwicklung hat bis heute oft auch mit Übersetzungsarbeit zu tun. Man übersetzt Anforderungen oder die Beschreibung von Prozessen in Code, der dann von einer Maschine ausgeführt, also «verstanden», werden kann. Doch das hat sich verändert. Es gibt heute Software, die ziemlich gut menschliche Sprachen übersetzen können. Und es gibt auch Software, die menschliche Sprache für Maschinen übersetzen können. Man wird dem Computer also sagen können, was er genau lösen soll, und der Computer wird versuchen, dafür Lösungen zu programmieren. In Zukunft wird man anders an die Aufgabe herangehen, Software zu entwickeln.
Die Umwälzungen werden weder für Abacus noch für die Gesellschaft einfach sein, denn niemand ist darauf vorbereitet.
Claudio Hintermann, Co-CEO Abacus Research AG
Ganz neu ist das nicht. Das reine Schreiben von Software-Code macht seit Jahrzehnten einen immer kleineren Teil der Arbeit von Software-Firmen aus. Aber es wird in der Software-Branche immer weniger Übersetzungsarbeit geben. Diejenigen, die eine Branche gut kennen, die die Abläufe zwischen Firmen oder einfach zwischen verschiedenen Akteuren kennen und verstehen, werden die besten Programmiererinnen und Programmierer sein. Statt Übersetzern werden in Zukunft «Schriftsteller» gefragt sein. Menschen, die etwas Neues kreieren, die Zusammenhänge sehen, die andere nicht sehen, und die neue Wege finden. Fachleute, die «das Ganze» sehen und erzählen können.
Abacus muss schneller und flexibler werden
Die Software-Branche wurde in den letzten 50 Jahren immer wieder von technologischen Entwicklungen durchgeschüttelt. Und jedes Mal sind Firmen verschwunden und neue aufgetaucht. Als wir 1985 Abacus gründeten, gab es bereits weit über 30 Schweizer Buchhaltungslösungen für PCs. Mit jedem Jahr und vor allem mit jeder neuen Technologiewelle wurden es weniger. Viele Anbieter haben aufgegeben und noch mehr haben ihre Lösung verkauft. Meistens an eine Beteiligungsfirma, die sich ein Software-Konglomerat zusammenschusterte. Etablierte Business-Lösungen sind für Private-Equity- Firmen attraktiv, denn Kundinnen und Kunden können nicht einfach wechseln. Sie können noch jahrelang Geld aus ihnen pressen, indem sie die Entwicklungskosten reduzieren und die Preise erhöhen. So kann man viel Geld verdienen und seinen Aktionärinnen und Aktionären schöne Dividenden ausschütten. Doch neue Kundinnen und Kunden gewinnt man damit nicht. Irgendeinmal geht der Kuh die Milch aus und sie wird geschlachtet.
Für die Gründergeneration von Abacus wäre der Verkauf an eine Beteiligungsfirma eine einfache und lukrative Lösung. Doch wir werden diesen Weg nicht gehen. Die vier Hauptaktionäre von Abacus haben sich dazu verpflichtet, die Aktienmehrheit für die nächsten 10 Jahre zu behalten.
Wir wollen die Herausforderung der «KI-Revolution» annehmen. Die Umwälzungen werden weder für Abacus noch für die Gesellschaft einfach sein, denn niemand ist darauf vorbereitet. In der industriellen Revolution wurde menschliche und tierische Muskelkraft durch Maschinen ersetzt. In der kommenden Revolution wird zwar nicht das Denken ersetzt, aber die Maschinen werden über das gesammelte Wissen der Menschen verfügen und damit arbeiten.
Es wird ein interessanter Tanz. Die Spielregeln werden neu gesetzt und es wird neue Gewinner und Verlierer geben. In diesem Spiel wird nicht wichtig sein, wie gross ein Player ist – dass Abacus aktuell die Nummer eins im Schweizer Business-Software-Markt ist, hat keine Bedeutung. Wichtig wird sein, dass Abacus schneller und flexibler wird und genügend Ressourcen hat, um Fehler, die alle machen werden, korrigieren zu können. Es ist unser Ziel, die nötige Aufmerksamkeit, Flexibilität und Schnelligkeit zu gewinnen, um auch den nächsten Sturm zu überstehen. Und in diesem Sturm Mitarbeitende, Partner und Kundinnen und Kunden – und auch unsere Werte – an Bord zu behalten.
Abacus Intelligence – let Software understand you
Künstliche Intelligenz eröffnet uns neue Welten.