Plattform für den automatischen Dokumentenaustausch in der Cloud
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Am Anfang eures jüngsten Entwicklungsschritts soll die Idee eines digitalen Briefkastens gestanden haben. Kannst du das näher erläutern?
Claudio Hintermann: Als wir vor 38 Jahren angefangen haben, Software zu entwickeln, ging es darum, Lösungen für den Personal Computer zu programmieren. Mit jeder neuen Abacus Softwaregeneration erweiterten Local Area Networks, dann Wide Area Networks und schliesslich das Internet die Reichweiten der einzelnen Nutzer und somit den Kreis der Marktteilnehmer enorm. Eines der grössten Probleme der IT hat sich dabei nie verändert: Wie können Marktteilnehmer Daten und Dokumente untereinander austauschen, ohne sie händisch «routen» zu müssen, sprich, sie automatisch an einen Adressaten zu leiten, ohne dass sie in den Prozess eingreifen müssten.
Hat das etwas mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu tun?
Nur bedingt. KI ist zwar sehr stark, wenn es darum geht, in Daten bestimmte Muster zu erkennen, oder wo Algorithmen die systemische Grundlage bilden, seien es physikalische oder mathematische. Diese Fähigkeit kann verwendet werden, um automatisch abweichende Muster, sei es etwa im Zahlungsverkehr oder bei der Interpretation von Bilanz- und Erfolgsrechnungszahlen zu erkennen. Das kann sehr hilfreich sein, um in der stetig wachsenden Menge von Daten das Relevante, Spezielle zu finden und automatisch hervorzuheben. KI stösst aber dort an ihre Grenzen, wo Menschen bei der Eingabe keine strikten Regeln oder Leitlinien befolgen. Zudem kann sie nur so gut sein wie das Daten- Set, mit dem ein System für den maschinellen Lernprozess trainiert wird, damit sie überhaupt funktioniert. Wir wollen unseren Kunden und Anwendern primär eine sichere und funktionsfähige RP-Plattform bieten, damit der gesamte buchhalterische Prozess von der Belegerfassung bis zur Buchung automatisiert funktioniert. Unser Ziel beinhaltet eine autonome Echtzeit-Prozessabwicklung, die eine Buchhaltung ohne Papier ermöglicht.
Ist das korrekte Lesen und die automatische Verarbeitung von Belegen somit schwieriger als ursprünglich von Abacus angenommen, obwohl ihr dies seit Längerem im Angebot habt? Gehen die Probleme über die Verarbeitung von Spesen hinaus?
Ja, so ist es. Denn die Probleme sind tiefgreifend und lassen sich mit KI allein nicht lösen. Rechnungen wie Spesenbelege sind dafür ein typisches Beispiel: Weder ist der «Sprachverkehr» der einzelnen Elemente normiert, noch was wo auf einem Beleg stehen muss. Zudem kann ein «Total» einer Rechnung bei einer anderen wiederum etwas völlig anderes bedeuten. Kurzum: Die Strukturierung der Belege folgt keiner rationalen Logik, sie ist beliebig und deshalb praktisch auf jedem Beleg anders. Ausserdem weichen die Belege auch je nach Land und verwendeten IT-Systemen voneinander ab.
Wo liegen die Grenzen der KI?
Alle diese Probleme gehen weit über die Spesenbelege hinaus. Überall dort, wo unstrukturierte Daten gelesen werden müssen, die keiner nachvollziehbaren Logik und somit keinem vorgegebenen Muster folgen, kommt man mit KI nicht weiter. Es braucht deshalb zusätzliche Methoden, die es mit der Diversität der einzulesenden Dokumente aufnehmen können.
«Mit DeepBox sind wir anderen Lösungen meilenweit voraus.»
Claudio Hintermann, CEO Abacus Research AG
An welche Lösungswege denkst du da?
Das können Lösungswege aus der Heuristik sein. Mehr will ich dazu aber nicht verraten. Das ist Betriebsgeheimnis. Sie setzen wir zusammen mit der KI mit dem Ziel ein, eine möglichst hohe Automatisierung zu erreichen, damit Abacus diejenige Plattform wird, über die Prozesse digital, unternehmensübergreifend in der Cloud abgewickelt werden können. Aber das ist bei Weitem noch nicht alles.
Kannst du da konkret werden?
Infolge unserer umfangreichen Recherchen sind wir auf ein grundlegendes Problem gestossen: So gibt es beispielsweise allein über 22ʼ000 verschiedene ISO-Standards. Und auch die IT-Branche kennt unzählige Standards. Dementsprechend waren wir jedoch ziemlich verblüfft, als wir feststellen mussten, dass es keinen einzigen Standard zur Klassifizierung von Dokumenten wie etwa Lohnausweisen, Versicherungspolicen oder Rechnungen gibt. Aber genau die Lösung dieses Problems bräuchte es, damit Dokumente, die mit unterschiedlichster Software erstellt worden sind, automatisch einen bestimmten Empfänger erreichen könnten und sich bei ihm selbstständig zuordnen und verarbeiten liessen. Wird heute ein beliebiges PDF- oder Word-Dokument per E-Mail verschickt, muss der Empfänger dieses immer noch zuerst selbst sichten. Er muss dann entscheiden, wo es gespeichert und an wen es allenfalls weitergeleitet werden soll. Kommt dazu, dass bis heute jedes Software-Entwicklungshaus für Büro-, Buchhaltungs- und ERPLösungen seine eigenen Dokumenttypen kreiert.
Und was kann hier Abacus bieten?
Da kommt unser bereits erwähnter digitaler Briefkasten zum Zug. Bei uns heisst er DeepBox. Darin werden empfangene Dokumente analysiert und seine ERP- respektive buchhaltungsrelevanten Daten extrahiert. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Nutzung der Schnittstelle REST-API, dank der auch Dritthersteller die Möglichkeit haben, auf die Resultate der Dokumentenanalyse zuzugreifen und an ihre Systeme automatisch weiterzuleiten.
Was ist der Nutzen davon?
Jedes Unternehmen kreiert mit seiner Software Dokumente, die für den Geschäftsverkehr unternehmensübergreifend genutzt werden. Und genau da setzt die DeepCloud mit ihren verschiedenen Modulen an. Diese erlauben die automatische Digitalisierung über Firmengrenzen hinaus und sind in der Lage, ein beliebiges Dokument für die Ablage und Weiterverarbeitung zu «klassifizieren» und in der Cloud zu teilen, selbst wenn es in einer «fremden» Software und Umgebung erstellt worden ist. Damit hat sich, nebenbei bemerkt, das bisher ungelöste «Problem der IT» erübrigt.
Könntest du das etwas genauer erklären?
DeepBox erkennt dank ihren integrierten Automatismen, um welchen Typ von Dokument es sich handelt, und kann es in die korrekte Inbox speichern respektive selbstständig an den zuständigen Sachbearbeiter weiterleiten. Sie fungiert dabei als eine Art Verteilstation, bei der wie auf einem Bahnhof Züge respektive Waggons auf verschiedene Geleise verschoben werden.
Ist somit aus der ursprünglichen Idee des Briefkastens ein ganzer Bahnhof geworden?
In der Tat: DeepCloud fungiert wie ein universelles Schienensystem, auf dem wie bei der geplanten Swissmetro Datenpakete wie Züge selbstständig unterwegs sind und die Waggons zur Weiterverarbeitung an den richtigen Zielort geleitet werden. Verzögerungen sollen damit vermieden werden und der Informationsaustausch just in time erfolgen, so dass gleichzeitig die Datenverarbeitung effizienter wird. Es ist diese «letzte Meile», die erst eine automatische Digitalisierung über Firmengrenzen hinaus erlaubt.
Du hast an anderer Stelle auch schon von «autonomen» und nicht von «automatischen» Prozessen gesprochen, warum?
Ja, automatisch heisst, ohne Eingriff eines Menschen zu funktionieren. Autonom hingegen bedeutet, dass das System in der Lage ist, selbstständig Entscheidungen zu treffen.
Was bietet dabei DeepBox?
Ihre Rolle ist es, beispielsweise mit Hilfe des Datenerkennungsmoduls DeepO, die Dokumente so zu klassifizieren, dass sie automatisch an Adressaten geschickt werden, um gemeinsam Dokumente zu nutzen. Sie sind zusammen mit den übrigen Deep-Lösungen in DeepCloud integriert. Damit haben wir eine universelle, webbasierte Plattform geschaffen, über die sich der Dokumentenaustausch global abwickeln und in einen Gesamtprozess einbinden lässt.
Könntest du das mit den Deep-Lösungen spezifizieren?
DeepSign und DeepID zur Identifikation von natürlichen Personen und zur Verifikation von juristischen Personen. DeepID ist bei Visumsund Zutrittsberechtigungen oder etwa beim Onboarding bei Neueinstellungen von erheblichem Nutzen.
Was ist die Rolle von DeepSign?
Gewisse Dokumente und Verträge müssen zwingend mit qualifizierten Unterschriften versehen sein, damit sie rechtlich genügen. Mit DeepSign kann rechtsgültig digital unterschrieben werden, sowohl nach EU- als auch nach Schweizer Bestimmungen.
Will Abacus tatsächlich Drittherstellern und «Marktbegleitern» die Möglichkeiten bieten, die Errungenschaften von DeepCloud zu nutzen?
Mit DeepBox sind wir anderen Lösungen meilenweit voraus. Einige haben zwar Teilbereiche des Dokumentenaustauschs für ihre spezifischen Zwecke bereits digitalisiert und automatisiert, wie dies etwa bei einigen Versicherungslösungen der Fall ist. Mit DeepCloud jedoch haben wir eine universelle Plattform geschaffen, die das Problem des Dokumentenaustauschs global angeht und den Gesamtprozess löst. Es macht Sinn, diese Techniken allen Marktteilnehmern zur Verfügung zu stellen. Schliesslich ist DeepCloud nur eine Plattform und DeepBox nur ein Bestandteil davon. Es ist wichtig für unsere Anwender respektive für alle KMU, dass die verschiedenen Systeme auf einfache Weise direkt miteinander interagieren können.
DeepCloud umfasst mehrere digitale Dienstleistungen. Wie werden sie vertrieben?
Dafür haben wir die Firma DeepCloud AG gegründet, welche die Dienstleistungen auch Drittherstellern anbieten soll. Bei den Deep-Lösungen handelt es sich um Basistechniken, deren Entwicklungen sich für viele Hersteller von ERP- oder anderen Unternehmenslösungen kaum lohnen würde, zumal wir bereits Millionen in DeepCloud respektive die Deep-Techniken investiert haben. Wir wollen nun auch andere im Sinn einer echten «Coopetition» davon profitieren lassen. Primäre Treiber für unseren Schritt sind nicht finanzielle Absichten, sondern sind einfach einer simplen Logik geschuldet, dass Medienbrüche vermieden und händisches «Routen» von Dokumenten von den Software-Lösungen selber übernommen werden kann. Abacus selbst dürfte nur einer unter vielen Nutzern von DeepCloud sein. Erste Interessenten aus dem erweiterten helvetischen ERP-Umfeld haben bereits ihr konkretes Interesse an einer Nutzung dieser Dienste signalisiert. Mit jedem Marktteilnehmer, der DeepCloud nutzt und anbietet, wird das Ökosystem grösser und damit auch der Nutzen, der dadurch generiert wird.
Ist DeepCloud demzufolge gleichzeitig auch der letzte Schritt, um das Papier in den Büros überflüssig zu machen?
A bis Z über die Unternehmens- und Software-Systemgrenzen hinaus zu rationalisieren, soll alles unternommen werden, damit dank der Automation auch kein Einsatz von administrativen Hilfskräften für gleichförmige und repetitive Arbeit mehr vonnöten ist. Was wie Zukunftsmusik zu sein scheint, wollen wir schon heute umsetzen.