«Gutes HR ohne Software-Unterstützung wird es nicht mehr geben»

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Matthias Mölleney ist eine Instanz in Sachen HR. Im Gespräch mit Pages erläutert er, warum trotz Digitalisierung der Fokus auf den Menschen immer wichtiger wird und warum das HR auch bei KMU künftig mehr sein soll als nur operative Administration.

Bevor wir uns dem Kernthema unseres Gesprächs, dem HR bei KMU, widmen, erlauben Sie uns die Frage: Wie haben Sie die bisherigen Lockdown-Perioden überstanden?

Matthias Mölleney: Ganz am Anfang hatte ich einen einwöchigen Kurs an meiner Fachhochschule zu geben. Damit war ich innert Kürze gezwungen, mich zu einem Experten in Sachen virtuelles Unterrichten zu entwickeln, bestes Learning by Doing sozusagen. Wenigstens erwies ich mich als lernfähig und habe meine Konzepte so weiterentwickelt, dass ich nun in der Lage bin, meine Inhalte online zu stellen und entsprechend zu vermitteln. Auch in Sachen Homeoffice bin ich mittlerweile ein Profi, da ich seit Jahren zwischen meinem Wohnort in Uster und einem Domizil in den Bündner Bergen pendle und dort arbeite, wo die Arbeit anfällt.

Gehört solches bereits zur neuen Arbeitswelt, bei der «hybride» Arbeitsweisen in den Firmen bereits integriert werden?

Ja, bestimmt. Dabei hilft die aktuelle Pandemie, alles schneller umzusetzen.

Was bedeutet das?

Die Arbeit wird bezüglich Ort, Zeit, Organisationszugehörigkeit und Selbstverständnis zunehmend flexibel. Neben der Digitalisierung dürfte auch die Virtualisierung unsere Arbeitswelt beeinflussen und die Lebensmodelle der Leute nachhaltig verändern.

Können Sie das näher erläutern?

Es werden uns neue Technologien wie etwa die künstliche Intelligenz und umfassende virtuelle Assistenz begleiten. Die dafür erforderlichen digitalen, persönlichen, methodischen und sozialen Kompetenzen werden zu Schlüsselfaktoren.

Wird es dank der Digitalisierung und den Folgen des demografischen Wandels ein Mix aus einem Austausch vor Ort und einem selbständigen Arbeiten von zu Hause aus sein?

Ja, auf jeden Fall, denn auch die Autonomie, den Arbeitsort wählen zu können, ist für viele Mitarbeitende sehr wichtig.

«Derzeit hat das HR in den Unternehmen meistens eine fast ausschliessliche Dienstleistungsfunktion.»

Matthias Mölleney, Leiter Center für Human Resources Management & Leadership an der HWZ Hochschule für Wirtschaft in Zürich

Was sind die Herausforderungen dieser Veränderungen?

Es besteht die Gefahr, dass der Arbeitsmarkt gespalten wird. Es wird Firmen geben, die Mitarbeitenden die Möglichkeit bieten, zeitweise auch zu Hause zu arbeiten, und andere, die wie etwa Handwerksbetriebe und Produktionsstätten jobbedingt dies gar nicht offerieren können. Neue Formen der Arbeitsorganisation stellen auch für KMU eine Herausforderung dar, weil sie lernen müssen, wie man in dieser neuen Welt Mitarbeitende führen muss. Da stellt sich die Frage nach der Unternehmenskultur, ob sie vermehrte Autonomie, Selbstbestimmung und grösseres Vertrauen gegenüber den Mitarbeitenden fördern soll.

Damit sind wir beim HR. Was soll es heute können?

Derzeit hat das HR in den Unternehmen meistens eine fast ausschliessliche Dienstleistungsfunktion. Es sorgt dafür, dass Prozesse für die effiziente Führung von Menschen implementiert und betrieben werden. In Zukunft dagegen muss es vermehrt Steuerungsfunktionen übernehmen.

Was heisst das?

Das HR muss sich für den Faktor Mensch noch stärker einsetzen. Das heisst: Der Wert einer Firma sollte sich nicht mehr allein aus den in Bilanzen ersichtlichen Anlagen, Patenten und Lizenzen konstituieren. Es gilt vermehrt den Faktor Mensch zu berücksichtigen, denn er trägt mit seinen Skills und seinem Engagement wesentlich zum effektiven Wert eines Unternehmens bei.

Was hat das für Konsequenzen?

Viele Unternehmen reden von Investitionen in ihre Mitarbeitenden, aber in der Praxis müssen Weiterbildungen als Kosten erfasst werden. Kosten schmälern den Gewinn. Sie sind deswegen schlecht für Unternehmen und genau das Gegenteil von Investitionen. Wir brauchen aber Investitionen für den mittel- und langfristigen Erfolg des Unternehmens und müssen dieses Dilemma intelligent auflösen.

«Das HR darf nicht einfach verwalten, sondern muss aktiv gestalten!»

Matthias Mölleney

Was braucht es, um dies zu realisieren?

Die Aspekte des HR sollten eine höhere Relevanz bekommen. HRVerantwortliche müssen deshalb die Sprache der Betriebswirtschaftler lernen, damit sie den Wert des Faktors Mensch adäquat kommunizieren können. Zudem ist es an der Zeit, die Unternehmensleitung darauf zu sensibilisieren, welchen Impact Mitarbeitende mit ihrem Know-how und ihren Talenten auf den Wert eines Unternehmens haben.

Was kann ein gutes HR bewirken?

Das HR darf nicht einfach verwalten, sondern muss aktiv gestalten! HR soll demnach mehr sein als reine Dienstleistungen. Gutes HR generiert Mehrwert für ein Unternehmen, indem es den Faktor Mensch entwickelt und Mitarbeitenden Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet.

Was sind demzufolge die neuen Aufgaben des HR?

Das HR muss sich als Moderator etablieren. Es vermittelt zwischen den verschiedenen Bereichen eines Unternehmens und sollte sich darauf konzentrieren, dass Menschen miteinander erfolgreich kooperieren. Denn nur aus der Zusammenarbeit respektive dem Kombinieren unterschiedlicher Perspektiven können langfristiger Erfolg und nachhaltig Kreatives entstehen.

Und dazu braucht es auch HR-Software?

Technische Lösungen braucht es primär, um repetitive Aufgaben zu erledigen respektive diese künftig zu automatisieren und Aufgaben raschmöglichst zu erledigen. Nur so kann Zeit optimal genutzt und können Kosten optimiert werden. HR-Software braucht es, um ab einer gewissen Unternehmensgrösse den Überblick über die Mitarbeitenden und ihre Talente und Fähigkeiten zu vereinfachen. Sie muss das Management unterstützen, Potenziale fördern und entwickeln.

Ab welcher Firmengrösse braucht es überhaupt ein HR?

In KMU mit bis zu 50 Beschäftigten wird meistens zuerst an eine funktionierende Lohnabrechnung gedacht. Vermehrtes Auftreten von Fluktuation, verändertes Arbeiten oder wie angesichts des aktuellen Fachkräftemangels neue Mitarbeitende gefunden werden, sind erste Ansatzpunkte zu einem zukunftsorientierten HR.

In welchen Bereichen macht HR bei einem KMU denn überhaupt Sinn?

Es gibt vier Hauptbereiche, die vom HR gestaltet werden sollten: Dazu gehören erstens die Moderation von unternehmerischen Prozessen wie etwa bei der Umsetzung von NewWork-Konzepten mit der Abklärung der Bedürfnisse der Mitarbeitenden, zweitens die Entwicklung der Mitarbeitenden inklusive Weiterbildung und Laufbahnberatung und -planung, drittens das Employer-Branding, für das Werte abgeklärt und in den Unternehmensalltag integriert werden müssen, und viertens die Administration, welche die Mitarbeiterverwaltung sicherstellt.

Durch die Digitalisierung verändern sich die Kompetenzanforderungen an die HR-Abteilung. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Neben Detailkenntnissen wie Lohnabrechnung, Sozialversicherungs-, Steuer- und Arbeitsrecht, Datenschutzgesetzgebung und Skills bei der Moderation ist immer mehr IT-Wissen gefragt. Schliesslich geht es darum, Prozesse mit Software umzusetzen, um aus Daten Informationen zu erzeugen, die Unternehmen einen Mehrwert verschaffen.

Hilft es, ein «evidenzbasiertes», faktenbasiertes Personalmanagement zu etablieren?

Die Digitalisierung verändert die Anforderungen. HR-Leute müssen IT «können». Sie müssen nicht selber in der Lage sein zu programmieren, aber sie sollten verstehen, wie eine Software funktioniert und wie sich Daten auswerten lassen. Heute werden bessere und schnellere Analysen und Entscheidungen verlangt. Da das HR vermehrt proaktiv agieren sollte, kann Software gute Unterstützung bei der Entscheidungsfindung bieten.

Wie weit soll ein Bewerbungsmanagement gehen, was umfasst es, was bringt es?

Jedes Unternehmen muss sich fragen, wie sich geeignete Kandidatinnen und Kandidaten finden lassen. Die Ansprache schien bis vor Kurzem über Plattformen wie jobs.ch und jobscout24.ch am erfolgversprechendsten. Derzeit stellt sich die Frage, ob das wirklich ausreicht, da nur etwa 20 Prozent aller Angestellten auf Stellensuche sind oder mit einem Stellenwechsel liebäugeln. Das heisst nichts anderes, als dass die Mehrheit aller Berufstätigen die ausgeschriebene Stelle gar nicht wahrnimmt.

Wie bringt man diese Mehrheit dazu, sich zu bewerben?

Online-Publikationen sind zwar weiterhin ratsam, sollten aber ergänzt werden durch andere Massnahmen wie aktives Sourcing, bei dem potenziell interessante Personen gezielt angegangen werden. Erfolgreiche Unternehmen bewerben sich bei potenziellen Bewerbern und nicht mehr nur umgekehrt wie bisher.

Wie läuft so etwas ab?

Junge Talente lassen sich beispielsweise am besten via spezielle Initiativen wie etwa über die Unterstützung von schulischen Aktivitäten wie Diplomarbeiten, durch das Anbieten von Praktikumsstellen und Übernahmen von Kursen ansprechen, so dass man bereits frühzeitig mit aufstrebenden Kandidaten in Kontakt kommt und sich als attraktiver Arbeitgeber positioniert.

Was ist eine moderne Karriereplanung?

Mit Karriereplanung wird impliziert, dass man auf der Hierarchieleiter kontinuierlich eine Stufe nach der anderen nach oben rücken kann. Das ist Schnee von gestern. Ich spreche lieber von Laufbahnplanung. Es kann viel bereichernder sein, wenn sich jemand für eine Entwicklung entscheidet, die den eigenen Stärken entspricht, als nur nach dem zu streben, was für eine nächsthöhere Stufe verlangt wird. Es ist mit eine Aufgabe des HR, dafür zu sorgen, dass sich Mitarbeitende mit ihren Talenten und Stärken optimal entfalten.

Ist es überhaupt möglich, die Leistung eines Mitarbeitenden zu messen, wenn er oder sie nicht gerade an einem Fliessband steht?

Eine Leistung ist objektiv oft schwierig bis unmöglich zu taxieren, weil sie interdependent und deshalb von verschiedenen Faktoren abhängig ist. Je mehr in Gruppen gearbeitet wird, umso schwieriger ist es, die Leistung des Einzelnen objektiv zu quantifizieren und zu beurteilen. Aber nur weil die Leistungsmessung schwierig ist, sollten sich Vorgesetzte nicht vor Feedbackgesprächen drücken.

Was halten Sie von Zeugnis-Generatoren?

Zeugnisse sind nur in deutschsprachigen Ländern gebräuchlich. Anderswo gibt es Empfehlungsschreiben. Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass mit einem gut und persönlich geschriebenen Zeugnis sehr viel Wertschätzung vermittelt werden kann.

Wo wird das HR in fünf, in zehn Jahren sein?

Das HR wird an Bedeutung gewinnen und in der Geschäftsleitung etabliert sein. Dazu muss es sich aber zu einer Steuerungsund Gestaltungsfunktion weiterentwickeln. Generell ist zu erwarten, dass Fragen rund um das Personal wichtiger werden. Denn sie geben dem Unternehmen die Möglichkeit, sich gegenüber Mitbewerbern zu differenzieren. Mitarbeitende werden vermehrt als Repräsentanten eines Unternehmens wahrgenommen und beurteilt.

Wird das HR vollständig automatisiert?

Alles, was sich automatisieren lässt, wird auch automatisiert. Gutes HR ohne Software-Unterstützung wird es in Zukunft nicht mehr geben. Es braucht jedoch den Menschen, der das HR lebt, und passende Instrumente dazu – erst wenn beide miteinander funktionieren, ist gutes HR möglich.

Matthias Mölleney, Leiter Center für Human Resources Management & Leadership an der HWZ Hochschule für Wirtschaft in Zürich

Seine langjährige Erfahrung als Führungskraft bei Lufthansa, als Geschäftsleitungsmitglied der Swissair und in weiteren international tätigen Konzernen hat ihm immer wieder bestätigt, dass Führung, Personalmanagement und die Fähigkeiten im Umgang mit Veränderungen über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. 2006 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Regine die Firma peopleXpert. Das Unternehmen ist auf die Entwicklung von Personalstrategien, Leadership Training für Führungskräfte und Einzelcoaching spezialisiert. Daneben leitet er seit 2010 das Center for Human Resources Management & Leadership an der HWZ. Zudem ist er als vielgefragter Referent unterwegs und engagiert sich als Direktor am Future Work Forum in London.