Justitia 4.0: Eine neue Ära in der Schweizer Justiz
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Jacques Bühler, was sind Ihrer Meinung nach die grössten Herausforderungen bei der Digitalisierung der Schweizer Justiz?
Jacques Bühler: Vor allem der digitale Wandel. Justizbehörden und Anwaltskanzleien müssen ihre Prozesse und ihre persönliche Arbeitsweise anpassen. Aus technischer Sicht ist es eine kleinere Herausforderung, da wir auf bestehende Technologien zurückgreifen können. Bei der Justizaktenapplikation können wir zum Beispiel die österreichische Lösung übernehmen und auf die Schweizer Bedürfnisse anpassen.
Weshalb wurde das Projekt Justitia 4.0 initialisiert?
JB: Es ist ein allgemeiner Trend, dass staatliche Leistungen zunehmend elektronisch erbracht werden. Es gibt kein Grund, weshalb die Justiz hiervon ausgenommen sein sollte. Darüber hinaus kann durch den digitalen Wandel auch die Effizienz gesteigert werden.
Wie ist das Projekt Justitia 4.0 aufgebaut?
JB: Das Gesamtprojekt beinhaltet drei Lieferobjekte: die Plattform justitia.swiss, die Justizaktenapplikation und die Begleitung der Justizbehörden und der Anwaltschaft im digitalen Wandel.
Was können Sie mir über die drei Lieferobjekte verraten?
JB: Die Plattform justitia.swiss soll den bisherigen Postverkehr ablösen, sodass Akteneinsichten und Rechtsverkehr künftig elektronisch über die Plattform erfolgen. Mit der Justizaktenapplikation gewährleisten wir eine sichere, elektronische Ablage und Bearbeitung von Akten, einschliesslich Versionierung. Das dritte Lieferobjekt umfasst die Begleitung der Justizbehörden und der Anwaltschaft im digitalen Wandel durch gezielte Instrumente und Massnahmen zur digitalen Transformation.
Welche Vorteile sehen Sie für Anwaltskanzleien und Behörden durch die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs?
JB: Die Vorteile liegen vor allem in der Effizienzsteigerung. Mit der Plattform haben alle Parteien gleichzeitig Zugriff auf ein Aktenstück und können gleichzeitig an einer Stellungnahme arbeiten. Im Gegensatz dazu erforderte der bisherige postalische Versand ein sequenzielles Vorgehen, das zeitaufwendiger war. Mit der Plattform Justitia.swiss wird dieser Prozess deutlich beschleunigt. Zu den weiteren Vorteilen gehören, dass Gerichte, Justizbehörden und Anwaltskanzleien rund um die Uhr und ortsunabhängig erreichbar sind. Zudem ermöglicht die Volltextsuche in der Justizakte-Applikation eine schnelle Durchsuchung von Akten nach bestimmten Passagen – gerade bei umfangreichen Akten ist dies ein grosser Vorteil.
Wie gehen Sie mit dem Thema Datenschutz bei der Digitalisierung von Gerichtsakten um?
JB: Seit Projektbeginn legen wir grossen Wert auf Datenschutz und IT-Sicherheit. Sämtliche Akten sind gut verschlüsselt. Es ist unmöglich, dass man sich unerlaubt eine Übersicht über hängige Verfahren verschafft – selbst wenn man einen Weg findet, um in die Plattform einzudringen. Ausserdem sind Akten nur in einem beschränkten Zeitfenster auf der Plattform. Die Plattform ist nicht für die Archivierung aller Justizverfahren der letzten Jahre vorgesehen.
Wie können sich Anwaltskanzleien optimal auf Justitia 4.0 vorbereiten?
JB: In Punkto Infrastruktur braucht es kaum Veränderung, die Voraussetzungen sind bereits gegeben. Organisationale Prozesse werden mit Justitia 4.0 bestimmt einfacher.
Welche langfristigen Auswirkungen auf die Schweizer Rechtsbranche erwarten Sie mit Justitia 4.0?
JB: Bald tritt das Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (BEKJ) in Kraft, das Justizbehörden und Anwaltschaft zum digitalen Rechtsverkehr verpflichtet. Mit Justitia 4.0 möchten wir eine Plattform bieten, die den digitalen Rechtsverkehr langfristig auch für Unternehmen und Privatpersonen ohne anwaltliche Vertretung attraktiv macht.
Wie sehen Sie die Schweizer Justiz in fünf bis zehn Jahren, und welche Rolle wird Justitia 4.0 in diesem Szenario spielen?
JB: Der Anteil an digitalen Eingaben soll stetig wachsen. In Österreich liegen die elektronischen Eingaben in der Zivilgerichtsbarkeit bei 80-85 Prozent. In der Schweiz könnte in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren ein ähnlicher Prozentsatz an elektronischen Eingaben erreicht werden.
Mit Blick auf Ihren geplanten Ruhestand im Juli 2025, was möchten Sie bis dahin noch im Projekt erreichen?
JB: Ich möchte die Voraussetzungen schaffen, dass die ersten Pilotierungen der Justizaktenapplikation rechtzeitig starten können.
Wie würden Sie Justitia 4.0 mit drei Worten beschreiben?
JB: Sicher, zukunftsgerichtet und benutzerfreundlich.

Über Jacques Bühler
Jacques Bühler ist Gesamtprojektleiter Justitia 4.0 und dies seit Projektbeginn im Jahr 2019. An seiner Rolle schätzt er insbesondere den regelmässigen Austausch mit den vom digitalen Wandel betroffenen Menschen in den Justizbehörden und Anwaltschaft.
Über Justitia 4.0
Das Projekt Justitia 4.0 treibt die Digitalisierung der Schweizer Justiz voran, indem Papierakten durch digitale Dossiers ersetzt werden und der Rechtsverkehr über die Plattform justitia.swiss abgewickelt wird. Ziel ist es, Prozesse zu beschleunigen, den Zugang zu rechtlichen Dienstleistungen zu erleichtern und die Zusammenarbeit zwischen Gerichten, Staatsanwaltschaften sowie Anwaltschaft zu modernisieren.

AbaLaw integriert Justitia 4.0
AbaLaw ist direkt mit der Justizplattform Justitia 4.0 verbunden. Anwältinnen und Anwälte können damit gerichtliche Dokumente ohne Zwischenspeicherung digital und sicher mit den Gerichten austauschen.