Das grosse Fressen
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Zwischen 2017 und 2022 wurden mindestens 50 Schweizer Software-Firmen verkauft*. Die meisten Besitzerwechsel fanden ab 2020 statt. Doch wer wurde verkauft – und an wen? Um diese Frage zu beantworten, habe ich alle Übernahmen einer Kategorie zugeordnet. Das Resultat ist eindrücklich (siehe Grafik): 19 Übernahmen gehören zur Kategorie Übernahmen durch «Heuschrecken» (ein Begriff, der 2004 in Deutschland in Mode kam). Neun Firmen gehören ins Kapitel «Digitalisierungskrücke», immerhin 15 haben eine industrielle Logik und nur fünf Firmen schlossen sich einer Weltfirma an. Weitere vier Übernahmen hatten eine industrielle Logik, wurden aber erst durch das Geld einer Beteiligungsfirma ermöglicht.
Picken wir ein paar markante Beispiele heraus. 2018 übernahm die Versicherung Mobiliar die KMU-Software-Firma Bexio, ab 2020 kaufte die Post zuerst Klara, dann Tresorit, Swisssign, Dialog Verwaltungs-Data, Unblu (Kundendialog für die Finanzindustrie) und zum Schluss den Walliser Gemeinde-Dienstleister T2i. Mobiliar und die Post wollen nun die KMU digitalisieren, die übernommenen Software-Hersteller sollen den beiden Konzernen als «Digitalisierungskrücken» unter die Arme greifen.
Von «Heuschrecke» zu «Industrieller Logik»
In die Kategorie «Heuschrecke» ordne ich Übernahmen durch Beteiligungsfirmen ein. Solche «Private-Equity-Gesellschaften» sammeln Geld, zum Beispiel von Pensionskassen, ein und kaufen damit Firmen. Diese «veredeln» sie, um sie früher oder später weiterzuverkaufen. Sei es, indem sie sie an die Börse bringen, weiterverkaufen oder mit anderen Firmen fusionieren. Manchmal behalten die Beteiligungsfirmen die übernommenen Firmen auch, um regelmässiges Einkommen zu erzielen und an die Aktionäre weiterzugeben (Buy and Hold). «Heuschrecken» sind nicht zwingend «böse», sondern können einer gekauften Firma auch helfen, ihr Wachstum zu beschleunigen.
In die Kategorie «Weltfirma» gehören für mich Firmen, die eine europaweite oder weltweite Strategie verfolgen. Zu dieser Strategie gehört der Aufkauf und die Weiterentwicklung von Firmen. Ein bekanntes Beispiel ist der deutsche Riese Bechtle, der auch in der Schweiz (mit unterschiedlichem Erfolg) eine ganze Reihe von IT-Dienstleistern aufgekauft hat.
Etwas bösartig ist die Bezeichnung «Digitalisierungskrücke». Damit meine ich grosse Firmen wie etwa die Post, die Firmen aufkaufen, um mit ihrer Hilfe in einem bestimmten Markt relevant zu werden. Zum Beispiel bei der Digitalisierung von KMU.
Zu guter Letzt die Kategorie «Industrielle Logik». Damit meine ich Firmenübernahmen, mit der sowohl Käufer wie auch Verkäufer ihre Firmen gemeinsam weiterbringen wollen. Eine solche Strategie verfolgt zum Beispiel CM Informatik.
Die Liste der «Heuschrecken»-Deals ist länger. Vor allem der Name Elvaston taucht immer wieder auf. Die Berliner Beteiligungsfirma kauft 2017 Magnolia, ein erfolgreicher Basler Hersteller eines CMS. Im August 2022 verkaufte Elvaston die Firma schon wieder. 2018 investierte Elvaston in den österreichisch-deutschen Software-Hersteller Infoniqa. Infoniqa übernahm seinerseits im April 2021 einen Teil von Sage Schweiz, nämlich das gute alte Sesam (Sage 50) und Sage 200 (Simultan) und später grad auch noch Run-my-Acounts. Die Sache wird noch unübersichtlicher, denn die Beteiligungsfirma Warburg Pincus übernahm 2020 die Mehrheit an Infoniqa. Elvaston blieb aber aktiv und schluckte seit 2020 sieben weitere Softwarefirmen aus der Schweiz oder mit Aktivitäten in der Schweiz (Glaux, Sowatec, Dataphone, Xelog, Selectline, groupe.id, Abra). Glaux hat mit dem Geld von Elvaston seinerseits zwei kleine Software-Firmen übernommen. Fast unbemerkt ging im Juni 2021 der Verkauf von BRZ Schweiz über die Bühne. Der Hersteller von Lösungen für das Baunebengewerbe wurde von seiner Mutterfirma, der deutschen BRZ-Gruppe, an die kanadische Beteiligungsfirma FOG Software Group verkauft. BRZ Schweiz entstand 2004 durch den Verkauf der Wibeag an BRZ.
Die zwei grossen Hersteller von Krankenkassen-Lösungen, BBT und die St. Galler Adcubum gingen ebenfalls an «Heuschrecken». BBT an Valoris (Kanada), AdCubum wurde von den bisherigen Besitzern rund um Martin Ebner an TA Associates verkauft. Das Ziel dürfte wohl ein Börsengang sein. Die Beteiligungsfirma Capvis beteiligte sich 2020 an BSI, ein mit 320 Mitarbeitenden grosser Hersteller einer CRM-Lösung. Ebenfalls in der Schweiz aktiv ist die Londoner Beteiligungsfirma Forterro. Sie hat über Umwege die bernjurassische Solvaxis (ProConcept) übernommen und schluckte vor einem Jahr MyFactory. Im März 2022 wurde Forterro selbst verkauft, nämlich für eine Milliarde Euro an die Zuger Partners Group.
Von viel, viel weniger Geld sprechen wir, wenn es um Übernahmen geht, die eine «industrielle Logik» haben. So hat zum Beispiel der Abacus-Partner CM Informatik seit 2020 in relativ kurzer Folge fünf kleinere Anbieter von Software für Schulen und Behörden übernommen. Bei vier der fünfen ging es um Nachfolgelösungen. Der Käufer, CM Informatik gewinnt Kundenbeziehungen und qualifizierte Mitarbeitende, der Verkäufer findet einen Nachfolger und Perspektiven für seine Mitarbeitenden. Die entsprechenden Produkte der übernommenen Firmen werden früher oder später durch die modernere Software von CMI abgelöst. Bei einer Lösung, der Schul-Kommunikationsapp von Klapp ist es umgekehrt. Sie wird in die CMI-Lösungen eingebaut. Wie mir CMI-Chef Stefan Bosshard in einem kurzen Telefongespräch sagte, hat CMI die Übernahmen selbst finanziert. Auf einen Investor hat er ganz bewusst verzichtet. Zusammen mit den übernommenen Firmen ist CMI nach eigenen Angaben nun Marktführer bei Software für Schulen in der Schweiz.
Nur vier Übernahmen gehören zum Kapitel «Weltfirma». Da ist einerseits der deutsche IT-Dienstleistungsgigant Bechtle, der mit Acommit und Alpha Solutions zwei Dynamics-Spezialisten geschluckt hat. Aber auch der grösste Software-Deal, den die Schweiz je gesehen hat, gehört dazu: Der japanische Technologiekonzern NEC kaufte 2020 den Zürcher Banken-Software-Hersteller Avaloq für zwei Milliarden Franken. Ein typischer «Exit-Deal», denn Avaloq gehörte der «Heuschrecke» Warburg Pincus sowie den Gründern und dem Management.
Es gibt immer auch Mischformen. So können Heuschrecken-Töchter oder Digitalisierungskrücken dank ihren finanzstarken Investoren auch eine industrielle Logik verfolgen. Ein Beispiel dafür ist Glaux. Die Berner Software-Firma Glaux kaufte mit dem Geld des Investors einen kleinen, aufstrebenden Hersteller einer Lösung für Case Management auf.
*Die Liste ist natürlich unvollständig, da nicht alle Übernahmen bekannt gegeben worden sind. Quellen: www.itreseller.ch und www.inside-it.ch.